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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

INTERVIEW mit Hermann Schmitz - Pro Paraguay Initiative
von Felix Wiedebusch
27.10.12     A+ | a-
Fragen zur Lage in Paraguay und den  jüngsten Vorkommnissen
Guten Tag Herr Schmitz, Sie haben in Paraguay einige Jahre gelebt und bereisen dieses Land weiterhin sehr häufig, daher kann man Sie wohl als Kenner des südamerikanischen Landes bezeichnen. Außerdem leiten Sie in Kempen, NRW, den Verein „Pro Paraguay Initiative“ (PPI). 
 





Frage:
Können Sie mir etwas über Ihre Initiative erzählen?
Antwort:
Die Pro Paraguay Initiative leistet seit 20 Jahren entwicklungspolitische Arbeit. Der Verein hat über hundert Mitglieder, die unsere Arbeit finanziell und ideell unterstützen. Auf lokaler Ebene versuchen wir, Solidarität mit der sog. "Dritten Welt", in unserem Fall Paraguay, für Bürger unserer Stadt erlebbar werden zu lassen.
Wir leisten Informations – und Öffentlichkeitsarbeit zur Lage in Paraguay, u. a. auf unserer Homepage www.proparaguay.de und mit einer Vielzahl von Veranstaltungen.  Mit unseren Partnern in Paraguay führen wir Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und ländliche Entwicklung durch, drei größere Projekte wurden vom BMZ kofinanziert.
Frage:
Als jemand, der sich mit Paraguay gut auskennt: Wie beurteilen Sie die Tatsache der Absetzung des Präsidenten Fernando Lugo durch das Parlament am 22.Juni 2012 in nur gerade einmal 24 Stunden?
Antwort:
Ihre Frage legt es schon nahe:  In verdächtiger Hast, ja geradezu in einem Hauruckverfahren, wurde Präsident Fernando Lugo mit 39 gegen nur 6 Stimmen der Pro Lugo-Senatoren aus dem Amt gejagt.     
Einer erdrückenden Übermacht im Parlament stand er in den vier Jahren seiner Amtszeit immer gegenüber. Formal rechtens, da die neue paraguayische Verfassung eine entsprechende Klausel enthält, war aber das Absetzungs-verfahren de facto eklatant undemokratisch.  Nur formal handelte es sich um einen politischen Prozess, der aber wie ein Misstrauensvotum gehandhabt wurde. Fast übereinstimmend wurde das Vorgehen als „parlamentarischer Putsch“ bezeichnet.
Frage:
Ist es nicht verwunderlich, dass sich der Koalitionspartner von Lugo, die Radikale Authentische Liberale Partei (PLRA), mit seinem ehemaligen Erzfeind, den Colorados der „Nationalen Republikanischen Vereinigung“ (ANR), zusammengetan hat? Was genau waren die Vorwürfe bzw. Anschuldigungen gegen den abgesetzten Präsidenten Lugo?
Antwort:
Der Chef der „Liberalen“, Federico Franco, war Lugos Verbündeter vor und sein Vize nach der gewonnenen Wahl 2008. Die „Allianz für den Wechsel“ war nichts als ein wahltaktisches und damit äußerst zerbrechliches  Bündnis. Kaum war Lugo damit an die Macht gekommen, wurde der Vize Franco sein schärfster Kritiker und Rivale. Er war von vornherein scharf auf das Präsidentenamt und folglich der lustloseste Vize, den man sich vorstellen kann. Mit Lugo verband ihn eine solide Feindschaft. Colorados und Liberale, die Erzfeinde wie Sie sagen, sind zwar noch keine Freunde, aber „sie arbeiten dran“ ..... Inzwischen unterscheiden sie sich nicht mehr viel voneinander, am ehesten noch in ihren jeweiligen Tricks zur Bereicherung (da müssen sie sich jetzt ran halten, es bleiben bis zur Wahl ja nur noch sechs Monate....)
Gründe für Lugos Absetzung? Es waren Vorwände, nichts war belegt: „Schlechte Amtsführung“ und die politische Verantwortung für das Massaker in Curuguaty, bei dem 17 Menschen starben, waren die Haupt“anklage“punkte. Lächerlich der erste, geradezu ungeheuerlich der zweite Punkt.  Lugo hatte gerade mal 12 Stunden Zeit zur Vorbereitung seiner „Verteidigung“!.
Frage:
Hat die neue Regierung unter Francisco Franco eine Untersuchung zu dem blutigen Vorfall am 15. Juni in Curuguaty angeordnet? Das war doch der Hauptgrund für Lugos Absetzung, ist das richtig?
Antwort:
So ist es. Um eine Untersuchung kam der Putschgewinner Franco nicht herum. Vier Monate  nach dem Massaker  gab die Staatsanwaltschaft einen Bericht heraus, welcher den Campesinos die Schuld gab  -  das war zu erwarten. Die “Plataforma de Estudios e Investigación de Conflictos Campesinos” (PEICP), die unabhängige Forschungsstelle für Campesinokonflikte unter Leitung des spanischen Juristen Aitor M. Giménez, widerspricht in fast allen Punkten diesem Bericht und legt umfangreiches Beweismaterial vor, das die Polizeikräfte als Agressoren benennt, die einseitig das Feuer eröffnet, im Verlauf eines ungleichen Kampfes mehrere Campesinos regelrecht hingerichtet und nach Festnahmen Kinder misshandelt und Gefangene gefoltert haben. Bei den Campesinos wird lediglich eine (zerbrochene) Flinte gefunden. Die gewonnenen Erkenntnisse weisen eindeutig auf eine dritte Gruppe mit großkalibrigen Waffen hin. Der von vielen Beobachtern längst erhobene Verdacht einer gezielten Provokation durch Scharfschützen wird also immer wahrscheinlicher.
Der renommierte Jesuitenpater Francisco Oliva bezeichnete das Geschehen in Curuguaty als makabre verbrecherische Inszenierung.  Nach diesem Drehbuch war die Aktion allerdings erfolgreich, denn man konnte Präsident Lugo als moralisch Verantwortlichen (“Freund illegal Land besetzender Campesinos”) denunzieren und abservieren.
Frage:
Besonders irritierend finde ich es, dass der deutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, der erste war, der dem neuen Präsidenten gratuliert  und gesagt hat: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es bei dem Regierungswechsel verfassungswidrig zugegangen ist.“ Wie bewerten Sie diese Äußerung und die Position Deutschlands zu dem Geschehen? Würden Sie die Vorkommnisse selbst als einen Putsch einstufen?
Antwort:
Zur letzten Frage: ja  -  de facto ein klarer Putsch! Wie gesagt, es gab auch fantasievolle Beifügungen, wie parlamentarischer, kalter oder Agrarputsch, letztere hebt auf die  Hauptgewinner der Absetzung Lugos ab, die Großgrundbesitzer und Agrarmultis.
Unser Entwicklungshilfeminister hat sich (und leider auch unserem Land) durch sein ignorantes Statement politisch sehr geschadet, umso mehr, als man sein Geschwätz zunächst mit einer offiziellen Haltung der Bundesregierung gleich setzte.
Deutschland fand sich plötzlich mit dem Vatikan auf einer Stufe der „Anerkenner“. Nebenbei: Im derzeitigen erzkonservativen  deutschen Botschafter in Asunción hatte Niebel ganz sicher einen Gesinnungsgenossen.
Frage:
Die meisten lateinamerikanische Nationen sehen den Regierungswechsel als Putsch an, weshalb Paraguay aus der Staatenvereinigung MERCOSUR ausgeschlossen worden ist. Dafür wurde Venezuela aufgenommen, wogegen Paraguay sehr lange sein Veto einlegt hat. Wie sehr wird diese neue Situation, die man als Isolation bezeichnen könnte, die Wirtschaft Paraguays treffen? Und was bedeutet das auf politischer Ebene? Man hört, dass Paraguay nun die Nähe von Ländern außerhalb Südamerikas sucht, wie z. B. Großbritannien.
Antwort:
Der Ausschluss Paraguays aus dem Handelsverbund MERCOSUR wird dem Land wirtschaftlich nicht besonders schaden, da der Anteil des paraguayischen Handels über den MERCOSUR nur sehr gering ist.
Sogar von europäischer Seite kommt jetzt die Forderung an MERCOSUR, die Position Venezuelas zu klären. Paraguay soll seine Blockadehaltung endlich aufgeben. Brasilien soll „vor Ort“ Druck machen. Gleichzeitig laufen Verhandlungen zur Wiederaufnahme Paraguays in den MERCOSUR und den Staatenverbund Unasur. Ein ziemlicher Wirrwarr das alles, aber mit südamerikanischer Trickserei soll am Ende die  Lösung lauten: Kein  Gesichtsverlust für niemanden!
Frage:
Wer ist nun der Profiteur durch den neuen liberalen Präsidenten Francisco Franco? Man spricht davon, dass die Großgrundbesitzer (z. B. die sogenannten brasiguayos) nun ihr Programm mit Gensoja durchziehen dürfen.
Antwort:
Heimische und brasilianische Landeigner („brasiguayos“) sind die Nutznießer. Bei der Soja ist nichts mehr „durchzuziehen“, die ist längst landesweit genetisch verändert. Der Flächenausverkauf zugunsten von noch mehr Sojaproduktion nimmt zu, Exportabgaben bleiben lächerlich gering, das unkontrollierte Ausbringen des giftigen Pestizides Roundup geht unvermindert weiter und schädigt Mensch und Umwelt. Freie Einfuhr von genmanipulierten Mais- und Baumwollsaaten  -  all das sichert die Bombengeschäfte von Monsanto, Cargill & Co und üppige Bestechungsgelder der alten und neuen Seilschaften innerhalb und außerhalb der Putschregierung Franco.    Wie auch im Falle „Rio Tinto Alcan: Das größte Aluminiumwerk der Welt wird prima ins kleine Paraguay passen, sein Bau ist so gut wie sicher und macht aus dem Land eine Aluminiumrepublik. Und im paraguayischen Chaco können die Amerikaner nun bestimmt ungefährdet weiter an ihrem heimlicher Stützpunkt mit Riesenflughafen bauen...
Frage:
Der Film „Raising Resistance“  (2011) greift die Problematik zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern und den Sojaanbau auf. Mit was für Folgen für Mensch und Umwelt ist Ihrer Meinung nach durch den Anbau von Gensoja zu rechnen?
Antwort:
Wie gesagt, darauf  braucht man nicht mehr zu warten, die verheerenden Folgen sind längst sichtbar, es gibt z. B. eindeutige Beweise für Schädigungen von Mensch, Tier und Umwelt durch Glyfosat („Roundup“)  -  aber wie soll die Familie vor Gericht gegenüber einer zumeist korrupten Justiz “beweisen“, dass die Krankheit ihres Kindes durch die Sprühungen der Sojafelder entstanden ist? Der Sicherheitsabstand zu den  Feldern wird oft missachtet, und das Giftspritzen erfolgt nach dem Motto „Je mehr desto besser“.
Die Kleinbauern werden zudem systematisch vertrieben, es bleibt buchstäblich kaum noch Land für sie übrig, und eine einigermaßen gesunde Natur gibt es nicht mehr  -  „Urwald“ wird in Paraguay ohnehin zu einem Fremdwort.
Frage:
Laut Statistiken besitzen etwa 2% der Bevölkerung ca. 85% des gesamten Landes. Dazu belegt Paraguay Platz 17 auf dem GINI-Index (Darstellung von Ungleichverteilungen – je höher die Platzierung, desto schlechter). Mit dem neuen Präsidenten ist wohl kaum eine Besserung in Sicht?
Antwort:
So ist es  -  eher eine Verschlechterung, denn er wird nicht nur keine Agrarreform machen, Grundlage für eine gerechtere Landverteilung, sondern er wird zumindest zulassen, dass Land weiterhin vor allem für diejenigen da ist,  die schon Land haben!
Frage:
Wie beurteilen Sie überhaupt seine Amtsführung? Und wie sieht es mit der Korruption aus?
Antwort:
Was zur Zeit in Paraguay geschieht, ist ein stückweises Wahrwerden all der Befürchtungen, die man mit der Machtübernahme durch die Putschregierung haben musste. Deren Chef gerät auch bei Wohlwollenden zunehmend in Misskredit.  Die Reihe der zuvor genannten Fehlgriffe lässt sich fortsetzen: Er bezeichnet Angeklagte als Mörder, bevor sie ein ordentliches Verfahren erhielten, bringt seine Verwandtschaft in lukrativen Ämtern unter und schmeißt gleichzeitig reihenweise kritische Leute raus. Er kürzt auch noch das kleinste unter Lugo eingeführte Sozialprogramm. Sein Zynismus gegenüber den Armen ist notorisch: Mit dem Mindestlohn „kann man gut leben“, meint ein Präsident, dessen Privatvermögen sich in kürzester Zeit wundersam vervielfacht hat.
Zur Korruption erzähle ich Ihnen den Standardwitz, der gültiger denn je ist:
Da fragt einer: “Stimmt es, dass Paraguay jetzt auf Platz zwei der Korruptionsliste Südamerikas gerutscht ist?“
„Ja, das ist richtig.“     „Und wie kommt das?“    „Die haben Platz 1 verkauft!“
Frage:
Gibt es angesichts dieser starken Korruption bei den Wahlen im April 2013 überhaupt eine Chance für das Lager, das Lugo stützt, zurück an die Macht zu kommen?
Antwort:
Das wäre in der Theorie nur möglich, wenn die „Frente Guazú“, eine breit angelegte oppositionelle Plattform, einen unbedingten Einigkeitswillen zeigen und Alleingänge sowie persönliche Ambitionen der jeweiligen ´Caziquen´, der starken Männer also, zurück stellen könnte. Es sieht aber nicht danach aus, die ´Front´ bröckelt schon, allein das jüngste Ausscheiden eines der wichtigsten Kandidaten für das  Präsidentenamt macht schon jede Hoffnung zunichte. Mein persönlicher realistischer Pessimismus sagt mir, dass wir einen Sieg der alten Stroessnerpartei, der ´Colorados´, erleben werden und damit womöglich einen Rückfall in überwunden geglaubte vordemokratische Zeiten. Nicht ungern höre ich aber auch  die Worte von Pater Oliva, der auf die Jugend setzt und ein ´neues Handeln´ des Volkes für möglich hält, das die Augen öffnet und friedlich, aber mit Entschiedenheit eine solche Entwicklung verhindert .....
Frage:
Abschließend: Was erhoffen Sie sich für Paraguay und was kann man ihrer Meinung nach von Deutschland aus gegen die in Paraguay vorherrschende soziale Ungleichheit unternehmen?
Antwort:               
Ich hoffe, dass sich mein begründeter Pessimismus als falsch erweist und sich das Wunder von 2008 wiederholt, als die Coloradoherrschaft zumindest  -  und jetzt schlägt doch wieder die Skepsis durch  -  unterbrochen wurde. Wir als Paraguay Initiative können mit unseren gemeinsamen Projekten einigen Menschen in Paraguay helfen und Mut machen.

Ich danke Ihnen herzlichst für dieses Interview!

Felix Wiedebusch
Praktikant bei dem Projekt „Erinnern und Handeln für die Menschenrechte“ Allerweltshaus Köln e.V.

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

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